06. April 2023

Erhellendes Bundesschiedsgerichtsurteil von B90/Die Grünen über einen Fall von Self ID und Frauenquote an der Parteibasis
(Bundesschiedsgericht Bündnis90/Die Grünen vom 22.12.2022, Az.: 05/2022, Urteil)

Im Schiedsgerichtsverfahren ging es um die Gültigkeit der Wahl des Stadtvorstands eines nicht öffentlich bekannt gemachten Kreisverbands von B90/Die Grünen. Der Antragsteller (Ast.) hatte im Jahre 2020, nachdem er sich wegen der vorzeitigen Schließung von Rednerlisten diskriminiert fühlte, dem Kreisverband (Ag.) mitgeteilt, dass er „aus gegebenem Anlass“ sein „Geschlecht ändern“ wolle: „Ab heute bin ich weiblich. Könnt ihr das bitte in euren Akten anpassen?“

Zunächst geschah dies auch den Wünschen des Ast. entsprechend. Später kam es zu einem Gespräch zwischen zwei Mitgliedern des Stadtvorstands und dem Ast., in dem auch der Geschlechtswechsel thematisiert wurde. Anschließend wurde der Geschlechtseintrag des Ast. in den Akten des Stadtvorstands wieder von Frau zu Mann geändert, ohne dem Ast. davon Mitteilung zu machen.

Beim Stadtparteitag im Jahre 2021 wollte der Ast. dann als Frau für das Amt der/des Stadtvorsitzenden kandidieren. Die Kandidatur wurde jedoch vom designierten Präsidium der Versammlung nicht zugelassen und der digitalen Versammlung unter Hinweis auf die fehlende Fraueneigenschaft des Ast. bekanntgegeben.

Nach Zurückweisung der Kandidatur hat der Ast. das Landesschiedsgericht angerufen. Dies gab dem Ast. recht und ordnete Wiederholung der Wahl zur/m Stadtvorsitzenden an.

Aus den Gründen: Auf Aussagen des Ast., er „sei nur zu 75% Frau, komme es nicht an, da Überprüfungsgespräche nicht stattfinden dürften. Das Risiko des Missbrauchs habe die Partei bewusst in Kauf genommen. Sie habe dem Selbstbestimmungsrecht und damit dem Schutz des Persönlichkeitsrechts einen klaren Vorrang vor dem Schutz der Partei vor möglichem Missbrauch gegeben. Außerdem sei den Parteimitgliedern zuzutrauen, von ihrem Stimmrecht so Gebrauch zu machen, dass Versuche, sich ungerechtfertigte Privilegien zu verschaffen, ohnehin scheiterten.“

Das sieht nach einer Blaupause für das geplante Selbstbestimmungsgesetz der Bundesregierung aus.

Gegen diesen Richterspruch legte der Ag. jedoch im Jahre 2022 Einspruch (Beschwerde) beim Bundesschiedsgericht ein.

Zwar stellte das Gericht fest, dass die Wahl zum Stadtvorstand 2021 rechtswidrig war, weil die Zurückweisung der Kandidatur des Ast. „elementare Verfahrensgrundsätze und damit zugleich die Mitgliedschaftsrechte“ des Ast. „verletzt hat.“ Aber: „Rechtsverstöße bei Wahlen führen nur dann zur Wahlwiederholung, wenn sie sich auf das Ergebnis der Wahl ausgewirkt haben können.“ Das ist hier aber nicht der Fall, denn:

Der Ast. kann nicht auf Frauenplätzen bei Parteiwahlen von“ B90/Die Grünen kandidieren, weil er „keine „‘Frau‘“ im Sinne der Parteistatuten ist.“

Zwar gehe das Bundesfrauenstatut in seiner Präambel von gleichberechtigter Teilhabe von Frauen sowie trans*, inter und non-binären Menschen aus. Und auch sog. „Trans-Frauen“ solle es nicht grundsätzlich versagt sein, auf Frauenplätzen zu kandidieren.

Aber: Es müsse von einer Person, die sich als „Frau“ im Sinne des Frauenstatuts definiert, eine „eindeutige, ernstliche und nicht nur kurzfristige Selbstdefinition als Frau verlangt“ werden. Die Fraueneigenschaft müsse „so hinreichend klar festgelegt sein, dass die Geschlechtsangabe ‚weiblich‘ innerhalb von parteiinternen Verfahren auch ihren Zweck erfüllen kann“, sonst seien Frauenlistenplätze gefährdet.

Mangels eines Verfahrens für die Registrierung und Änderung des standesamtlichen Geschlechtseintrags [das wird sich wohl bald ändern] legt das Gericht daher fest, dass die Erklärung, Frau zu sein, „hinreichend eindeutig, rechtzeitig und dauerhaft ist, um die Kandidatur oder die Rede auf einem Frauenplatz im Einklang mit dem Sinn und Zweck der Quotierung zu tragen.“

Daraus folgt für das Gericht: Es kommt letztendlich auf den sog. „Empfängerhorizont“ und den „objektiven Erklärungsgehalt“ der betreffenden Person, nicht auf ihre subjektiven Hintergrundmotive, an: Äußerlichkeiten im Sinne von Geschlechterrollenklischees (Aussehen, Kleidung), Vornamensänderung, Leben im anderen Geschlecht sind nicht ganz unwichtig.

Entscheidend ist aber, dass die geschlechtliche Selbstbestimmung „eindeutig, nicht selektiv und nicht nur vorübergehend sein“ darf. Denn: Im Job und auch in anderen Bereichen seines Lebens war der Ast. ein Mann, um keine Nachteile als Frau erleiden zu müssen.

Dieses selektive Verhalten (oder: Rosinenpickerei) hat nach Ansicht des Gerichts „objektiven Erklärungsgehalt“ und ist erheblich für seine Entscheidung, dass der Ast. keine „Frau“ im Sinne des Bundesfrauenstatuts von B90/Die Grünen ist.

Die Frage, ob der Ast. das Recht auf Selbstdefinition als Frau missbräuchlich in Anspruch genommen hat, lässt das Gericht dahinstehen. Es stellt aber fest, „dass die Partei eine Möglichkeit haben muss, ihre Quotenregelungen gegen Missbrauch zu schützen, d.h., dagegen, dass gesellschaftlich immer noch dominante Männer sich zweckwidrig der Frauenförderung bedienen. Denn Frauenförderung kann ebenso wie Minderheitenschutz nur funktionieren, wenn sie nicht durch Angehörige der dominanten Gruppe unterlaufen wird.“ „Es gehe „hier also nicht allein um Selbstdefinition. Vielmehr steh[e] das Recht auf geschlechtliche Selbstbestimmung in einem Spannungsverhältnis zur… programmatischen Selbstbestimmung [d.h., zur Frauenquote] … auf Chancengleichheit.“

Gut gebrüllt, Löwin! Am Ende ringt sich das Bundesschiedsgericht von B90/Die Grünen noch zu einer feministischen Perspektive durch.

Gunda Schumann

 

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