28. April 2024

DER LETZTE COUP:
VERABSCHIEDUNG DES SBGG AM 12.04.2024 MIT VERSCHÄRFUNGEN UND VERSCHLEIERUNGEN

Erläuterungen zu den letzten Änderungen im „Selbstbestimmungsgesetz“

Änderungen des Referentenentwurfs vom 09.05.2023 (s. Gutachten) durch den Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 23.08.20231 und den Änderungsantrag der Fraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 10.04.20242, welche am 12.04.2024 vom Bundestag beschlossen wurden.3

  1. Missbrauchskontrolle (Art. 1, §§ 1, 2, 10, 13)

Im Fokus der vorgenommenen Änderungen des Gesetzentwurfs (GE) stehen Regelungen der Missbrauchskontrolle zur Kriminalitätsbekämpfung.


Dabei geht es einmal um AusländerInnen, welche keinen gesicherten aufenthaltsrechtlichen Status haben (§ 1 Abs. (3), unbefristetes Aufenthaltsrecht, verlängerbare Aufenthaltserlaubnis mit rechtmäßigem Aufenthalt im Inland, oder blaue Karte EU): Diese sind vom Anwendungsbereich des GE nicht erfasst. Auch eine Erklärung über die Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen ist dann unwirksam, wenn zwischen Erklärung und Erlöschen des Aufenthaltstitels, also Ausreisepflicht, eine Frist von zwei Monaten oder weniger liegt (§ 2 Abs. (4)). Grund ist, dass der Heimatstaat voraussichtlich die Einreise der/des eigenen Staatsangehörigen verweigert, die/der nach bundesdeutschem Recht Geschlechtseintrag und Vornamen geändert hat.

Weiterhin kann die antragstellende Person in der Regel verlangen (§ 10 Abs. (2), Einträge zu ihrem Geschlecht und ihren Vornamen in amtlichen Registern ändern zu lassen (Ausnahme: Gründe des öffentlichen Interesses). Der GE stellt jedoch klar, dass sie keinen Anspruch auf Löschung des alten Geschlechtseintrags und der alten Vornamen in amtlichen Registern hat. Das dient der Missbrauchskontrolle.

Zum anderen ging es im GE um Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden sowie amtliche Stellen mit Sicherheitsaufgaben, deren Aufgaben und Arbeitsweisen bisher nicht berücksichtigt worden waren. Diese Behörden stützen sich bei der Erledigung ihrer gesetzlich festgelegten Aufgaben für die Datenverarbeitung auf den Abruf von Daten aus amtlichen Informationssystemen, welche z.B. die alten und aktualisierten Eintragungen der Standesämter und Einwohnermeldeämter enthalten und tauschen diese Daten auch mit anderen Behörden aus. Die Datenverarbeitung der alten Eintragungen bis zur Änderung (§ 13 Abs. (3), der Abruf sowie der Austausch von Daten zwischen Behörden (§ 13 Abs. (4)) und die Information namentlich genannter Sicherheits- sowie anderer Behörden (§ 13 Abs. (5)) waren als Ausnahme vom Offenbarungsverbot gedacht. Diese Regelung wurde durch den Änderungsantrag (ÄA) des Familienausschusses wieder gestrichen. Missbrauch durch Identitätsver-schleierung ist damit ohne weiteres möglich.

  1. Verknüpfung von Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen
    (Art. 1, §§ 2, 5)

Eine weitere Neuerung betrifft die Verknüpfung der Änderung von Geschlechtseintrag und Vornamen: Während der alte Referentenentwurf sowohl eine getrennte als auch eine kombinierte Änderung von Geschlechtseintrag und Vornamen zuließ, ist im GE nur noch eine kombinierte Änderung zulässig (§ 2 Abs. (3)). Es sind Vornamen zu bestimmen, die dem gewählten Geschlechtseintrag „entsprechen“. Auch bei einer Rückänderung hin zum ursprünglichen Geschlechtseintrag gelten wiederum die alten Vornamen (§ 5 Abs. (2)). Das Verfahren wird damit stereotypisiert, also vereinfacht.

  1. Erklärungen von Minderjährigen (Art. 1, § 3)

In § 3 Abs. (1) wird laut ÄA des Familienausschusses ergänzt, dass Minderjährige, die das 14. Lebensjahr vollendet haben und ihren Geschlechtseintrag ändern lassen wollen, beim Standesamt versichern müssen, dass sie beraten worden sind. BeraterInnen können solche mit entsprechender Berufsqualifikation sein (MedizinerInnen, PsychologInnen, PsychotherapeutInnen) oder auch öffentliche und freie Träger der Kinder- und Jugendhilfe; das schließt also Translobbyorganisationen mit ein. Voraussetzung des Geschlechtseintragswechsels ist also kein medizinisch-psychiatrisches Gutachten, die Beratung stellt lediglich ein „Feigenblatt“ dar.

Für Minderjährige unter 14 Jahren kann laut § 3 Abs. (2) nur die gesetzliche VertreterIn die Erklärung zur Änderung des Geschlechtseintrags abgeben. Laut ÄA des Familienausschusses wird ergänzt, dass Minderjährige, die mindestens fünf(!) Jahre alt sind, ihr Einverständnis zur Änderung des Geschlechtseintrags geben müssen. Fraglich ist, ob fünfjährige Kinder beurteilen können, wobei es bei dem Geschlechtseintrag geht.

  1. Anmeldung und Erklärung (Art. 1, § 4)

Das Verfahren um die eigentliche „Erklärung“ zur Änderung von Geschlechtseintrag und Vornamen herum wird durch den GE verändert: Während es im Referentenentwurf eine „Wirksamkeitsfrist“ von drei Monaten nach der Erklärung gab, wird nunmehr der eigentlichen „Erklärung“ eine dreimonatige Anmeldefrist als „Überlegungs- und Reflexionsfrist“ beim Standesamt vorgeschaltet. Verstreicht nach der Anmeldung eine Frist von sechs Monaten, ohne dass eine entsprechende „Erklärung“ abgegeben wurde, ist die Anmeldung gegenstandslos (§ 4). Vorteil für das Verwaltungsverfahren: Die Anmeldung mit auflösender Frist macht eine nachträgliche Rücknahme der „Erklärung“, wie noch im Referentenentwurf vorgesehen war, überflüssig. Durch den ÄA des Familienausschusses wird es möglich sein, die Anmeldung der Erklärung bereits am 01.08.2024, also drei Monate vor Inkrafttreten des SBGG am 01.11.2024, im jeweils zuständigen Standesamt abzugeben (Art. 13 Abs. (1), (2)).

  1. Folgen der Änderung des Geschlechtseintrags (Art. 1, § 6)

Als Folgen der Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen für die betroffenen Personen wird im GE in Bezug auf den Zugang zu den Einrichtungen und Räumen sowie der Teilnahme an Veranstaltungen neben dem „Hausrecht des jeweiligen Eigentümers oder Besitzers“ und dem „Recht juristischer Personen, ihre Angelegenheiten durch Satzung zu regeln“, auch die „Vertragsfreiheit“ gegenübergestellt, die wiederum ihre Schranken im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) findet. Diese „Klarstellung“ bedeutet nichts anderes, als dass der Gesetzgeber mögliche „Diskriminierungsfälle“ an die Justiz abschiebt und es versäumt, die notwendigen Regelungen selbst zu treffen (auch bei der Bewertung sportlicher Leistungen überlässt er diese Entscheidung dritten Personen, vgl. § 6 Abs. (3)). Dazu wäre er aber aus Gründen des Rechtsstaats- und Demokratiegebots verpflichtet, weil es bei Minderheiten- und Frauenrechten um das Ausbalancieren von Grundrechten geht.4

  1. Eltern-Kind-Verhältnis (Art. 1, § 11)

Nach dem ÄA des Familienausschusses können Partner der Mutter, die Männer mit einer weiblichen Geschlechtsidentität sind, deren Geschlechtseintrag bei der Geburt des Kindes „weiblich“ lautet, stattdessen ihren alten (männlichen) Geschlechtseintrag wiederaufleben lassen, um als „Vater“ in die Geburtsurkunde des Kindes eingetragen werden zu können (§ 11 Abs. (1) Satz 2). Sie werden damit gegenüber lesbischen Partnerinnen der Mutter (die ihren Geschlechtseintrag nicht geändert haben) bessergestellt.


7. Offenbarungsverbot (Art. 1, § 13)

Der Familienausschuss hat mit seinem ÄA auch nahe Verwandte, wie z.B. selbst die Eltern und Kinder der betroffenen Person, dem bußgeldbewerten Offenbarungs- und Ausforschungsverbot unterworfen, soweit sie „in Schädigungsabsicht“ handeln.


8. Biologisches Geschlecht und Geschlechtsidentität (Art. 1, §§ 6, 8, 9, 11)

In den §§ 6 Abs. (4) und 8 Abs. (1) des GE wird unter Außerachtlassung des Geschlechtseintrags bei der Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen und der Anwendbarkeit von Rechtsvorschriften in Bezug auf die Fortpflanzung klarer als im Referentenentwurf auf das biologische Geschlecht der betreffenden Personen abgestellt. Zusammen mit § 9 (Spannungs- und Verteidigungsfall) und (eingeschränkt) § 11 (Eltern-Kind-Verhältnis) enthält der GE damit vier zentrale Regelungen, welche auf das biologische Geschlecht der betroffenen Personen und nicht auf den Geschlechtseintrag abstellen. Auch bei sportlichen Leistungen (§ 6 Abs. (3)) wird zwischen Geschlecht und Geschlechtsidentität zumindest sprachlich differenziert.

Soweit Frauen- und Mädchenrechte betroffen sind, bleibt es aber bei einer Vorrangstellung von Minderheiten- vor Frauen/Mädchenrechten:

  • § 6 (Wirkungen der Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen) beim Zugang zu geschlechtsspezifischen Räumen und Veranstaltungen (Abs. 2) sowie

  • § 7 (Quotenregelungen) insbesondere bei der Wahl von Gleichstellungsbeauftragten und ihrer Stellvertreterinnen.

Fazit

Die Zielrichtung und die wesentlichen Kernpunkte des Gesetzes (SBGG) haben sich gegenüber dem Referentenentwurf nicht geändert. Dies gilt besonders für

  • die Vermengung von „Geschlecht“ und Geschlechtsidentität“, welche gegen die rechtsstaatlichen Grundsätze der Normenbestimmtheit und Normenklarheit verstößt (Art. 20 Abs. (3) Grundgesetz (GG)),

  • den Verlust der Beweisfunktion des Geschlechtseintrags und die daraus resultierenden Folgen für die Durchsetzung der geschlechtsbasierten Rechte von Lesben/Frauen und Mädchen nach Art. 3 Abs. (2) GG,

  • die Verletzung der Elternrechte nach Art. 6 Abs. (2) Satz 1 GG und das Kindeswohl,

  • das bußgeldbewerte Offenbarungsverbot, welches die Meinungs- und Pressefreiheit beschneidet (Art. 5 Abs. (1) Satz 1 und 2 GG), durch nicht nachvollziehbare Ausnahmen im Privatbereich und tatbestandliche Unklarheiten (Augenschein?) gegen das rechtsstaatliche Prinzip der Normenwahrheit und Normenklarheit verstößt und durch den „Chilling-Effekt“ einer drakonischen „Abschreckung“ (10.000 €) einen Angriff auf unsere Demokratie verübt.

Die Folgen für Frauen und Mädchen sind gravierend:

Durch die Gleichstellung von Geschlechtsidentität mit Geschlecht und der Außerachtlassung der verfassungsrechtlich verbrieften Gleichberechtigung nach Art. 3 Abs. (2) GG wird dem männlichen Geschlecht Tür und Tor geöffnet, die Rechte von Frauen und Mädchen auf ihre mühsam errungenen autonomen Räume und Schutzräume sowie ihre gesellschaftliche Teilhabe auszuhöhlen.

Empfehlung

Erforderlich wäre eine Ausbalancierung der Grundrechte5 von Personen mit abweichender Geschlechtsidentität nach Art. 2 Abs. (1) in Verbindung mit Art. 1 Abs. (1) GG einerseits mit den Grundrechten von Frauen und Mädchen nach Art. 3 Abs. (2) und Abs. (3) GG andererseits. Konkurrierende Grundrechte müssen – nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz – so in Übereinstimmung gebracht werden, dass sie jeweils ihre maximale Wirkung entfalten können (Prinzip der Einheit der Verfassung).6 Die Grundrechte des Art. 3 Abs. (2) und (3) GG sind dabei ebenso zu beachten wie die Regelungen zur Wehrpflicht nach Art. 12a GG. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Um Art. 3 Abs. (2) und (3) GG eine maximale Wirkung zu verschaffen, wäre es erforderlich, die Validität des Geschlechtseintrags zum Schutz von Frauen und Mädchen durch Beibehaltung des rechtsgestaltenden Verfahrens nach § 4 Abs. 3 Transsexuellengesetz (TSG) aufrechtzuerhalten und garantierte und angemessene Ausnahmeregelungen für Frauen zur Gewährleistung von autonomen Räumen und Schutzräumen, zur beruflichen Förderung und zur gesellschaftlichen Teilhabe zu schaffen. Ähnliches ist ebenfalls in einem anderen westlichen Industrieland, Großbritannien, entschieden worden.7

Dass die VerfasserInnen des GE nicht die geringste Einsicht in diese verfassungsrechtliche Schieflage haben, beweist folgender Satz aus dem Allgemeinen Teil der Begründung: „Der Gesetzentwurf enthält keine gleichstellungsrelevanten Bestimmungen“.8 Und im Besonderen Teil der Begründung heißt es unter § 7: „Es ist nicht davon auszugehen, dass durch das Abstellen auf das Kriterium des im Personenstandsregister eingetragenen Geschlechts andere Personengruppen benachteiligt werden. Denn zum einen erfahren Personen, deren Geschlechtsidentität von ihrem Geschlechtseintrag abweicht und die ihren Geschlechtseintrag und ihre Vornamen nach § 2 SBGG geändert haben, im Alltag und im Berufsleben Diskriminierung und Benachteiligung, so dass ihre Förderung im Berufsleben ein gesellschaftliches Anliegen ist. Zum anderen dürfte eine Personenstandsänderung nicht leichtfertig und nur zu dem Zweck vollzogen werden, den vermeintlichen Vorteil einer Quotenregelung zu nutzen…“9

Damit kann dieses Gesetz mit Fug und Recht als verfassungswidriger „Männerrechtsgesetzentwurf“ bezeichnet werden. Dem gilt es mit geeigneten rechtlichen Maßnahmen zu begegnen.

Berlin, den 17.04.2024

Gunda Schumann, Rechtsanwältin, M.C.J., LL.M.  ©
Vorständin
LAZ reloaded e.V.

3 https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/gesetze/gesetz-ueber-die-selbstbestimmung-in-bezug-auf-den-geschlechtseintrag-sbgg–224546?s=09 [letzter Zugriff: 16.04.2024]. Soweit im Text nichts anderes vermerkt, haben die dargestellten Regelungen Bestand.

4 S. Punkt 8, Gutachten II. § 6, III., und Fazit (Empfehlung), S. 4f.

5Vgl. Stellungnahme von Prof. Dr. U. Lembke im Rahmen der Öffentlichen Anhörung im BT-Innenausschuss vom 02.11.2020 zu den Gesetzentwürfen von Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Die Linke: „Der Schutz vor Diskriminierung auf Grund von Abweichungen von der Heteronorm
darf dabei nicht auf Kosten des Schutzes von Frauen vor Benachteiligung und Gewalt innerhalb der Logik binärer Geschlechterverhältnisse gehen und umgekehrt. Das ist eine große Herausforderung an den Gesetzgeber…“,

https://www.bundestag.de/resource/blob/803586/b14cbe365e87aa7ffbe6b288abb180fc/A-Drs-19-4-626-E-neu-data.pdf, [letzter Zugriff: 17.04.2024].

6 Konrad Hesse: Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland. C.F. Müller GmbH, 1999, Rz. 72; Martin Morlok, Lothar Michael, Staatsorganisationsrecht, Nomos, Baden-Baden, 4. Aufl. 2019, § 3, Rz. 94.

7 House of Commons, Gender Recognition Act Reform, Consultation and Outcome, 17 February
2022,
https://researchbriefings.files.parliament.uk/documents/CBP-9079/CBP-9079.pdf [letzter Zugriff: 17.04.2024].

8 Begründung, Allgemeiner Teil, I. Rechtliche Ausgangslage, Zielsetzung und Notwendigkeit der Regelungen, 6. Weitere Gesetzesfolgen, S. 34 (s. Fn. 1).

9 Begründung, Besonderer Teil, Zu § 7 (Quotenregelungen), S. 50 (ebd., s. Fn. 1).

 


 

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