25. März 2021
Referentenentwurf des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat und des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz
Bearbeitungsstand: 25.01.2021
– Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen [1] –
Die neuerlichen Reformvorschläge des Bundesministeriums für Inneres, Bau und Heimat (BMI) und des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz (BMJ) halten sich eng an die Vorgaben, Aussagen und Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts in seinen Beschlüssen aus den Jahren 1978 bis 2017. Weitergehende Anregungen zum sog. „Selbstbestimmungsrecht“, niedergelegt z.B. im Gutachten der Humboldt-Universität, in Auftrag gegeben vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Jugend und Frauen (BMFSFJ) für die Interministerielle Arbeitsgruppe Inter- und Transsexualität (BMFSFJ, BMI, BMG und BMJ) von November 2016[2], oder die Schlussfolgerungen des BMFSJF aus der Arbeit der Interministeriellen Arbeitsgruppe vom 21.09.2017[3], von Lobbyverbänden (z.B. LSVD, Sonntags Club), oder auch vom Europarat[4] und dem Europäischen Parlament[5], wurden erfreulicherweise nicht berücksichtigt. Auch jüngste Gesetzesvorschläge zweier Oppositionsparteien im Bundestag – Bündnis 90/Die Grünen[6] und F.D.P[7]– fanden keinen Eingang in den vorliegenden Referentenentwurf.
Zielsetzung des Gesetzentwurfs ist es, das Verfahren zur Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen im Personenstandsregister für „inter- und transgeschlechtliche Menschen [zu vereinfachen], zugleich aber das öffentliche Interesse an der Validität der Eintragungen in den Personenstandsregistern [zu wahren].“[8]
Wichtigste Neuerungen
Auffällig ist, dass der Gesetzentwurf in den §§ 1 und 2 zwei neue Begrifflichkeiten einführt: „Transgeschlechtlichkeit“ und „Intergeschlechtlichkeit“. Während § 45b Abs. (1) Perso-nenstandsgesetz noch in Anlehnung an die Konsensuskonferenz in Chicago 2005 zutreffender weise von „Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung“ spricht, und in § 1 Transsexuellengesetz von „transsexueller Prägung“ der betroffenen Personen die Rede ist, entsteht mit den neuen Begrifflichkeiten der Eindruck, es handele sich dabei – neben dem weiblichen und männlichen Geschlecht – um neue „Geschlechter“. Dem ist mitnichten so.
Folgerichtig steht in der Erläuterung zu § 2 des Gesetzentwurfs, der sich mit „Transgeschlechtlichkeit“ befasst, folgende Definition: Eine Person, „…deren Geschlechtsidentität von ihrem eindeutig weiblichen oder männlichen Körperbild abweicht…“[9] Abgesehen davon, dass unklar bleibt, was in diesem Zusammenhang „Geschlechtsidentität“ bedeuten soll, begibt sich die Sprachregelung des Gesetzentwurfs in gefährliche Nähe zur Gleichsetzung von „Geschlecht“ = “Geschlechtsidentität“ (englisch: „sex“ = „gender“). Diese Konstruktion lehnen wir entschieden ab, da sie der erste Schritt zur Aufweichung geschlechtsbasierter Rechte der Frauen ist. An der Binarität der Geschlechter gibt es im Übrigen keine ernsthaften wissenschaftlichen Zweifel[10].
Es handelt sich bei der sog. „transgeschlechtlichen“ Person vielmehr um ein Individuum, das sich von seinem eingetragenen Geburtsgeschlecht abwenden will.
Der Personenstandseintrag kann je nach Wunsch der AntragstellerIn abweichend vom eingetragenen Geburtsgeschlecht in drei Varianten erfolgen: in „weiblich“ bzw. „männlich“, „divers“ oder keine Geschlechtsangabe (§ 2 Abs. (1) RefE Geschlechtseintrag).
Die nunmehr offenstehenden Möglichkeiten gehen damit weit über die vom Bundesverfassungsgericht für diese Personengruppe vorgezeichneten Rechte, per juristischer Fiktion den Eintrag für das entgegengesetzte Geschlecht zu erwirken, hinaus. Während die vorgenannten Optionen bei Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung verfassungsrechtlich geboten (und in § 22 Abs. (3) PStG entsprechend umgesetzt worden) sind, da sie körperlich nicht eindeutig dem weiblichen oder männlichen Geschlecht zuzuordnen sind, stellen sie bei Personen, die sich vom eingetragenen Geburtsgeschlecht abwenden wollen, eine überflüssige Variante dar und führen damit zu einer faktischen Aufweichung der Validität des Geschlechtseintrags. Das lehnen wir ab.
Das vorgeschaltete Amtsgerichtsverfahren (mit Richtervorbehalt) soll erfreulicherweise beibehalten, das Gutachtenerfordernis jedoch abgeschafft und durch eine kostenlose Pflichtberatung mit Beratungsschein, der eine Einzelfallbegründung hierfür („ernsthafter und dauerhafter Wunsch der Änderung des Geschlechtseintrags“) enthält, ersetzt werden (§§ 5 Abs. (2), 2 Abs. (1) Nr. 3, RefE Geschlechtseintrag).
Der „Vereinfachung“ und Kostenreduzierung der Änderung des Geschlechtseintrags für Personen, die sich vom eingetragenen Geburtsgeschlecht abwenden wollen, wird damit Genüge getan. Der Anstieg der Verfahren wird allerdings vom Gesetzgeber in Kauf genommen[11] und auch damit die Validität des Geschlechtseintrags in Frage gestellt. Das sehen wir sehr kritisch.
Schwerer wiegt allerdings die niedrigschwellige Anforderung an die Qualifikation der Person, die berät und den Beratungsschein für die Person, welche sich von ihrem Geburtsgeschlecht abwenden will, ausstellt:
Danach soll es ausreichend sein, wenn sie „aufgrund ihrer Ausbildung und beruflichen Erfahrung mit den Besonderheiten der … Transgeschlechtlichkeit ausreichend vertraut“ ist (§ 5 Abs. (1) Satz 2 RefE Geschlechtseintrag). Aus den Erläuterungen des Gesetzentwurfs ergibt sich, dass hierfür „in der Regel“ Ärzte, Psychologen oder Psychotherapeuten heranzuziehen sind, eine Voraussetzung ist dies jedoch nach dem Willen des Gesetzgebers nicht.[12] Da die Beratung in der Regel von einer Beratungsstelle, die der Anerkennung des Bundesamtes für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben unterliegt und auch von diesem nach vollzogener Anerkennung gefördert wird (§ 5 Abs. (3) RefE Geschlechtseintrag), liegt es nahe, davon auszugehen, dass es sich bei den zukünftigen Beratungsstellen um Transverbände und Peerberatungsstellen handeln wird. Eine professionelle und daher ergebnisoffene Beratung/Begutachtung scheint also durch eine interessengeleitete „Beratung“ mit Feigenblattfunktion ersetzt zu werden. Das lehnen wir ab. Vorzuziehen wäre also auf jeden Fall die Beschränkung des beratenden Personals auf die drei o.g. Berufsgruppen, wie übrigens noch im Referentenentwurf von BMI und BMJV vom 08.05.2019 vorgesehen.[13]
Auch für minderjährige Personen, welche eine Änderung des Geschlechtseintrags anstreben, soll das Amtsgerichtsverfahren (mit Richtervorbehalt und einer Pflichtbeteiligung der Erziehungsberechtigten[14]) erfreulicherweise beibehalten werden.
Der Gesetzentwurf sieht gegenüber dem RefE_2019[15] zusätzlich vor, dass vom Amtsgericht ein Sachverständigengutachten einzuholen ist, das darüber eine Aussage trifft, „…ob sich die betroffene Person ernsthaft und dauerhaft nicht dem eingetragenen Geschlecht als zugehörig empfindet und mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sich ihr Zugehörigkeitsempfinden zu einem anderen Geschlecht nicht mehr ändern wird.“ (§ 3 Abs. (1) RefE Geschlechtseintrag).
Das vom Gericht einzuholende Gutachtenerfordernis für Minderjährige ist ausdrücklich zu begrüßen (wenn auch zwei Gutachten wegen der komplexen Lage bei Kindern und Jugendlichen vorzuziehen wären), da deren geistige, seelische und sexuelle Reifung noch in vollem Gange ist und von einer „dauerhaften“ Abkehr vom eingetragenen Geburtsgeschlecht wohl nur in den wenigsten Fällen gesprochen werden kann[16].
Allerdings begegnet der Gesetzentwurf folgenden Bedenken:
Die in § 4 RefE Geschlechtseintrag normierte Anspruch jeder Person (Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung, erwachsene und minderjährige Personen, die sich vom eingetragenen Geburtsgeschlecht abwenden wollen), die ein Verfahren nach diesem Gesetz anstrebt, auf eine kostenfreie qualifizierte Beratung, ist zu begrüßen. Dies gilt besonders für Kinder und Jugendliche, welche sich noch in einem Entwicklungsprozess befinden.
Eine weitere Neuerung gegenüber dem RefE Geschlechtseintrag_2019[19] ist, dass eine Wiederholung des Antrags nach bewirkter Änderung des Geschlechtseintrags und später ggf. beantragter Wiedereintragung des Geburtsgeschlechts offenbar nicht vorgesehen ist, sollte aber im Gesetzestext deutlicher gemacht werden. Das wäre zu begrüßen, da der Ausschluss einer erneuten Änderung der Validität des Geschlechtseintrags dient.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass der vorliegende Gesetzentwurf Begrifflichkeiten benutzt, welche zu der Annahme verleiten könnten, es gebe mehr als zwei Geschlechter, was aus Gründen der Verteidigung der geschlechtsbasierten Rechte der Frau zurückzuweisen ist.
Auch die drei wählbaren Optionen für („transgeschlechtliche“) Personen, die sich von ihrem eingetragenen Geburtsgeschlecht abwenden wollen, gehen über das verfassungsrechtlich gebotene Ziel hinaus und stellen damit eine faktische Aufweichung der Validität des Geschlechtseintrags dar.
Zu begrüßen ist die Beibehaltung des amtsgerichtlichen Verfahrens für die Änderung des Geschlechtseintrags mit Pflichtbeteiligung der Erziehungsberechtigten in Verfahren mit minderjährigen Personen und die offenbare Nicht-Wiederholbarkeit der Änderung des Geschlechtseintrags (mit Ausnahme der ggf. späteren Wiedereintragung des Geburtsgeschlechts), da dies der Validität des Geschlechtseintrags dient.
Nicht akzeptabel ist die fachlich eher geringe Anforderung an die Qualifikation der beratenden Person für volljährige und des/der „Sachverständigen“ für minderjährige AntragstellerInnen, die sich von ihrem eingetragenen Geburtsgeschlecht abwenden wollen. Um eine professionelle und ergebnisoffene Beratung bzw. ein dementsprechendes Gutachten zu gewährleisten, ist eine ärztliche oder psychologische bzw. psychotherapeutische Ausbildung unumgänglich. Des Weiteren muss der Gesetzgeber sicherstellen, dass die Anforderungen an ein professionelles Gutachten für minderjährige AntragstellerInnen, die sich von ihrem eingetragenen Geburtsgeschlecht abwenden wollen, nicht durch die Bestimmungen des Gesetzes zum Schutz vor Konversionsbehandlungen unmöglich gemacht wird.
[1] Zitiert: RefE Geschlechtseintrag.
[2] Laura Adamietz & Katharina Bager, Gutachten: Regelungs- und Reformbedarf für transgeschlechtliche Menschen. Begleitmaterial zur Interministeriellen Arbeitsgruppe Inter- & Transsexualität – Band 7, Berlin, November 2016, https://www.bmfsfj.de/blob/114064/460f9e28e5456f6cf2ebdb73a966f0c4/imag-band-7-regelungs–und-reformbedarf-fuer-transgeschlechtliche-menschen—band-7-data.pdf [letzter Zugriff: 10.06.2020].
[3] BMFSFJ, Schutz und Akzeptanz von geschlechtlicher Vielfalt, Schlussfolgerungen des BMFSFJ aus der Arbeit der Interministeriellen Arbeitsgruppe Trans- und Intersexualität vom 21.09.2017 (mit Änderungen zum 01.10.2019), https://www.bmfsfj.de/blob/132346/c478d0a46e0534098be2d7a659a16a11/positionspapier-schutz-und-akzeptanz-von-geschlechtlicher-vilefalt-data.pdf [letzter Zugriff: 10.06.2020]
[4] Council of Europe, Parliamentary Assembly, Resolution 2048 (2015), „Discrimination against transgender people in Europe“, https://assembly.coe.int/nw/xml/XRef/Xref-XML2HTML-EN.asp?fileid=21736 [eigene Übersetzung] [letzter Zugriff: 10.06.2020].
[5] EU Parliament, “Report on the situation of fundamental rights in the EU in 2016 (2017/2125(INI))”, Comittee on Civil Liberties, Justice and Home Affairs, Rapporteur: Frank Engel, p. 13, http://www.europarl.europa.eu/doceo/document/A-8-2018-0025_EN.html [eigene Übersetzung] [letzter Zugriff: 19.01.2020].
[6] Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Transsexuellengesetzes und Einführung des Selbstbestimmungsgesetzes (SelbstbestG) vom 10.06.2020, Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Drucksache 19/19755
[7] Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der geschlechtlichen Selbstbestimmung vom 16.06.2020, BT-Drucksache 19/20048
[8] Vgl. RefE Geschlechtseintrag (Fn. 1), S. 13.
[9] RefE Geschlechtseintrag (Fn. 1), S. Begründung B. Besonderer Teil, zu § 2, S. 17.
[10] Dr. Colin Wright, Dr. Emma Hilton, „Sex is binary: Scientists speak up for the empirical reality of biological sex”, 14 February 2020, Fair Play For Women, p.3, https://fairplayforwomen.com/scientistsspeak/ [letzter Zugriff: 13.03.2020]; Project Nettie: scientists supporting biological sex, https://projectnettie.wordpress.com/ [letzter Zugriff: 08.12.2020]
[11] Vgl. RefE Geschlechtseintrag (Fn. 1), Begründung A. Allgemeiner Teil, 4. Erfüllungsaufwand, S. 16.
[12] Ebd., Begründung B. Besonderer Teil, Zu § 5, S. 19.
[13] Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz
und des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat vom 08.05.2019 – Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Änderung des Geschlechtseintrags, Artikel 12, Geschlechtsidentitätsberatungsgesetz – GIBG, § 2 Abs. (2), S.14, https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_TSG_Reform.pdf?__blob=publicationFile&v=2 [letzter Zugriff: 04.02.2020] [zitiert: RefE Geschlechtseintrag_2019].
[14] Allerdings könnten sich hier Widersprüche zur beschränkten Rolle der Eltern im Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen auftun, die ggf. gesetzgeberisch korrigiert werden müssten, vgl. Text zu Fn. 18; siehe insbesondere die Erläuterungen des Gesetzentwurfs zu § 2, S. 14f.
[15] RefE Geschlechtseintrag_2019 (Fn. 13), Artikel 1, Änderung des BGB, § 1631e Satz 2 BGB-E, S. 6.
[16] Dr. Alexander Korte, „Lost in Transition: Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter“, präsentiert im Forum Bioethik „Trans-Identität bei Kindern und Jugendlichen: Therapeutische Kontroversen – ethische Fragen“, Deutscher Ethikrat, Berlin, 19.02.2020, S. 6, https://www.ethikrat.org/fileadmin/PDF-Dateien/Veranstaltungen/fb-19-02-2020-Korte.pdf [letzter Zugriff: 20.04.2020]. Vgl. auch das Urteil des Londoner Gerichts zur Vergabe von Pubertätsblockern an Kinder: Quincy Bell, Mrs. A. vs. The Tavistock and Portman NHS Foundation Trust, Approved Judgment of The High Court of Justice, London [2020] EWHC 3274 (Admin), dated 01/12/2020, https://www.judiciary.uk/wp-content/uploads/2020/12/Bell-v-Tavistock-Judgment.pdf [letzter Zugriff: 01.12.2020].
[17] Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen vom 12. Juni 2020, BGBl. 2020 I Nr. 28 vom 23. Juni 2020, S. 1285: §§ 1 Abs. (1), 2 Abs. (1).
[18] Vgl. hierzu Gesetzentwurf der Bundesregierung, „Entwurf eines Gesetzes zum Schutz vor Konversionsbehandlungen“ vom 18.12.2019, BT-Drucks. 19/17278, Begründung B. Besonderer Teil, zu § 1 Absatz 1, S. 13, und zu § 2, S. 14f.
[19] Vgl. RefE Geschlechtseintrag_2019 (Fn.13), § 409g FamFG-E, S. 12.
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Autorin: Gunda Schumann ©